Schön, dass du da bist! Ich freue mich, wenn ich dir mit meinen Erfahrungen im Umgang mit psychischen Erkrankungen, insbesondere einer Mischform der Zwangsstörung und der depressiven Störung gemäß ICD-10, helfend zur Seite stehen kann.
Aber erst einmal ganz von vorne: Wie komme ich zu diesem Blog? Ich habe viele Jahre aufgrund mentaler Schwierigkeiten gelitten, die in meiner Jugend zunächst als Depression diagnostiziert wurden. Die Diagnose ist nicht falsch, da ich immer wiederkehrende depressive Episoden in unterschiedlichen Schweregraden hatte. Problematisch war in der Behandlung jedoch, dass die depressiven Symptome bei mir lediglich eine "Begleiterscheinung" von einer schweren Zwangsstörung waren.
Die Diagnostik stellte sich aber tatsächlich schwierig dar, da ich über alle Grenzen hinaus versuchte, mich selbst zu kontrollieren. Alles an mir. Mein Verhalten. Meine Gedanken. Und so ließ ich mir nichts anmerken. Auch liefen diese Prozesse so sehr unterbewusst ab, dass ich sie oft nicht einmal selbst gemerkt habe. Seitdem ich weiß, dass es sich um eine Zwangsstörung handelt, bin ich mir auch darüber im Klaren, dass ich diese schon seit meiner frühen Kindheit habe und dadurch eine Möglichkeit erschaffen habe, im Leben zurechtzukommen. Das klingt womöglich ein wenig abstrakt. Gern gebe ich dir konkrete Beispiele, durch die später ersichtlich wurde, dass es sich um Zwangssymptome handelt.
Ich lebte ein Leben, das möglichst angepasst war. Tolle Noten, nach außen hin brav und zuverlässig. Ich spaltete immer mehr Teile von mir ab und nahm meine Bedürfnisse - wenn überhaupt - möglichst heimlich wahr. Es sollte bloß niemand negativ reden. Diese Ängste wurden irgendwann so stark, dass ich nicht mehr vor die Tür gehen konnte. Schon die kleinste Möglichkeit, dass ich jemanden treffen könnte, der mich kennt und etwas Negatives über mich sagen oder gar einen Fehler bei mir entdecken könnte, löste riesige Angst in mir aus. Leider wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, dass der einzige Weg aus der Angst und dem Zwang durch die Angst und den Zwang führt. So kapselte ich mich immer weiter ab und gab mir dadurch vermeintlich „Sicherheit“. Ganz nach dem Motto: Wenn ich von der Bildfläche verschwinde, wird mich die Menschheit vergessen. Und das machte alles nur noch schlimmer.
Ich hatte in der Folge über einen langen Zeitraum Angst, verhaftet zu werden, da ich etwas gemacht haben könnte, was jemand anderem nicht gefallen haben könnte. Ich suchte in meinem Kopf nach Beruhigung, doch auch dies machte alles nur schlimmer. Ich schredderte alle möglichen Unterlagen, auf denen Daten von mir standen, löschte alle Social-Media-Kanäle, da für mich in meinem völlig irrationalen Schuldgefühl all diese Dinge als „Beweismittel“ hätten herangezogen werden könnten. Und es wurde immer schlimmer.
Als ich dann meinen dritten Klinikaufenthalt innerhalb eines halben Jahres antrat, schredderte ich am Abend vorher alle übrigen Dokumente und verteilte sie in vielen verschiedenen Mülltonnen in der Stadt, in der ich wohnte. Aber das war nicht genug. Kaum war ich Zuhause, fuhr ich wieder los und kontrollierte, ob man von den Überresten in den Mülltonnen wirklich nichts verwerten konnte. Doch bei einem Mal Kontrollieren blieb es nicht. Ich war in einem extremen Ausnahmezustand, hatte vor allem möglichen Angst, wollte morgens nicht mehr aufwachen und war ständig in Sorge, gleich von der Polizei abgeholt zu werden. Dabei war ich in der Realität von "kriminell sein" extrem weit entfernt. Doch mein Kopf erzählte mir da etwas anderes. Ich war irgendwann durch die Symptome so eingeschränkt, dass ich nur noch über mögliche Straftaten, die ich unbemerkt begangen haben könnte, nachdenken konnte. Und wenn ich beispielsweise in Gesetzen nachschlug, ob ich wegen einer Sache schuldig gewesen sein könnte oder nicht, fing ich an zu zweifeln, ob ich denn überhaupt richtig gelesen hatte.
Es war ein endloser Teufelskreis, der von Tag zu Tag, von Panikattacke zu Panikattacke schlimmer wurde. Ich war kaum noch in der Lage, ein normales Gespräch zu führen und hatte schließlich in der Klinik Angst, dass das Personal mit der Polizei zusammenarbeitete und alles, was ich sagte, ein Beweismittel hätte sein können. Meine Angst vor Fehlern kannte keine Grenzen mehr. Das klingt für dich vielleicht eher nach Schizophrenie – der Unterschied war hierbei, dass ich bei klarem Verstand „verrückt“ wurde und eher von endlosen Zweifeln geplagt war.
Menschen mit einer Zwangserkrankung wissen in aller Regel, dass ihre Ängste unrealistisch sind und dennoch können sie sich aufgrund des ständigen Zweifelns nicht davon freimachen.
Ich war schließlich so misstrauisch, dass ich nicht einmal den Mitpatienten verraten konnte, in welcher Stadt ich wohnte oder was mein Beruf ist. Die anderen nannten mich nur liebevoll „Geheimagentin“. Ich könnte die Liste an Symptomen unendlich weiterführen, denn ich war von fast allen typischen Themen von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen betroffen. Doch ich wusste es nicht. Ich fragte mich nur pausenlos, was mit mir nicht stimmte und konnte mir nicht vorstellen, dass sich an meinem Zustand noch einmal etwas ändern würde.
Erst als die psychologische Psychotherapeutin in der Klinik mir die Diagnose "Zwangsstörung" gemäß ICD-10 gab und mir erklärte, was mit mir los war, nahm mein Leben eine Wendung. Sie führte mit mir die ersten Expositionen durch und ich merkte schnell, dass die Angst geringer wurde, je häufiger und intensiver ich mich ihr stellte. Ab hier war mein Motto: „Ich akzeptiere radikal jede Ungewissheit und jeden meiner Gedanken" und ich beschloss, mir weder in meinen Gedanken noch bei Mitmenschen Rückversicherung und Beruhigung zu suchen. In den nächsten Monaten habe ich natürlich erst einmal weiterhin sehr gelitten, aber fand wieder einen Zugang zum Leben und der Himmel klarte nach und nach auf. Auch die depressiven Symptome wurden mit der Zeit besser und ich hatte wieder mehr Kraft.
Seither führe ich in einer ambulanten Verhaltenstherapie Expositionen durch und kann inzwischen wieder ein nahezu „normales“ Leben führen. Und doch lernte ich mit der Zeit, dass die „Normalität“, der ich mein Leben lang nacheiferte, für mich gar nicht mehr erstrebenswert war. Heute möchte ich nicht mehr "normal" sein, ich möchte einfach nur ICH sein – nicht mehr und nicht weniger. Durch radikale Veränderung meines Verhaltens bin ich an diesem Punkt angelangt und würde heute sagen, dass es mir in der meisten Zeit gut geht. Dazu tragen auch verschiedene Psychopharmaka bei, ohne die der Einstieg in die Therapie vermutlich nicht funktioniert hätte, da ich in der schweren Krankheitsepisode kein gesundes Gespräch führen konnte. Noch heute stabilisieren diese mich und meine Gefühlswelt, wofür ich sehr dankbar bin.
Auch das Niederschreiben meiner Geschichte in diesem Blog ist für mich eine schwierige Exposition, die vor einiger Zeit für mich undenkbar gewesen wäre. Ich möchte kein Mitleid und auch nicht mit Samthandschuhen angepackt werden. Ich sehe mich selbst in der Verantwortung, einen Umgang mit äußeren Einflüssen zu finden.
Mein Ziel ist es, durch meine Berichte anderen Betroffenen Mut zu machen und zu zeigen, dass es wieder besser werden kann.
Ich möchte dafür kämpfen, dass die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft endlich aufhört und zeigen, dass Betroffene aus meiner Sicht oftmals sehr starke Menschen sind und keine Mitschuld an ihrer Krankheit tragen.
Ich würde mich freuen, wenn du meinen Blog verfolgst, damit ich aufzeigen kann, welchen Umgang ich mit bestimmten Themen gefunden habe.
Zum Schluss noch eine Botschaft an dich, die mir enorm wichtig ist:
Schenke dir selbst Liebe, denn du hast sie verdient!
Bis bald
Deine Pauline
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