Das Problem mit der Rückversicherung

Veröffentlicht am 21. März 2023 um 15:28

Bevor ich wusste, dass ich eine Zwangsstörung habe, suchte ich von morgens bis abends nach Rückversicherung, weil ich meine Gedanken nicht aushalten konnte. Und ich finde diese Reaktion rückblickend auch grundsätzlich sehr einleuchtend. Denn wer möchte schon gern aushalten, dass er möglicherweise ein schwerer Straftäter ist, der bald verhaftet wird? 

So fragte ich beispielsweise ständig, ob es irgendwie sein könnte, dass mein Handy von der Polizei abgehört wird. Gleichzeitig wusste ein Teil von mir, dass dies absolut nicht realistisch war, aber der Zwang wäre ja kein Zwang, wenn ihm ein einfaches NEIN als Antwort reichen würde. Im Anschluss zweifelte ich dann an, ob ich wegen dieser Gedanken verrückt geworden sein könnte und das Unheil nahm immer und immer wieder seinen Lauf. 

Dass man jemanden, der starke Panik hat, beruhigen möchte, ist aus meiner Sicht die menschlichste und nachvollziehbarste Reaktion überhaupt.


Aber genau hier liegt das Problem in der Rückversicherung bei Zwängen. Sobald die betroffene Person durch sich selbst oder andere beruhigt wird, wird der Zwang beim nächsten Mal vermutlich noch schlimmer. Hierbei kann man weder dem Umfeld, noch der betroffenen Person einen Vorwurf machen. Bevor man das richtige "Handwerkszeug" bekommen hat, weiß man es in aller Regel schlichtweg nicht besser und jeder gibt sein Bestes. 

Erst mit der Diagnose Zwangsstörung habe ich gelernt, nicht mehr nach Rückversicherung zu fragen und diese auch nicht bei mir selbst zu suchen. In 99% der Fälle versuche ich, gar keine Fragen mehr (mit dem Ziel der Beruhigung) zu stellen, sondern die Ungewissheit komplett auszuhalten, weil ich niemanden mehr in diese schwierige Situation bringen möchte. Zusätzlich habe ich das große Glück, dass mein Partner mich im Umgang unglaublich toll unterstützt. Er erinnert mich daran, dass er mir die Rückversicherung mir zuliebe nicht geben sollte, wenn es mir doch einmal passiert, dass ich etwas frage, um mich zu beruhigen. Hierfür bin ich unendlich dankbar, denn das ist nicht selbstverständlich! ❤️

Nichtsdestotrotz trage ich die Verantwortung für meinen Umgang mit den Symptomen letztlich allein. 

Den Zwangsgedanken, abgehört zu werden, habe ich dann beispielsweise mit einer Exposition in den Griff bekommen, in der ich mein Handy in den Therapiesitzungen offen neben mich gelegt habe. Hierbei ging es nicht darum, den Gedanken zu relativieren. Dass er unrealistisch war, wusste ich selbst. Es ging vielmehr darum, die Ungewissheit auszuhalten, ob eventuell jemand mithört - völlig egal, wie unwahrscheinlich das in Wirklichkeit auch war. 

 


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